Samstag, 24. Januar 2009
 
„Die Warlords behalten den grössten Teil ihrer Macht“ PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Jürg Schiess   
Dienstag, 22. Mai 2007

Seit einigen Wochen halten beinahe täglich neue Enthüllungen über Verstrickungen hochrangiger Politiker und internationaler Unternehmen mit rechtsgerichteten paramilitärischen Gruppierungen Kolumbien in Atem. „Was an die Öffentlichkeit kommt, ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt José Aristizábal, Kenner des kolumbianischen Bürgerkriegs und ehemaliges Führungsmitglied der Guerillabewegung „Unión Camilista – Ejercito de Liberación Nacional“ (UC-ELN).



Überraschen Sie die Verwicklungen von Politik und Wirtschaft mit den Paramilitärs?


Nein, überhaupt nicht. Ich bin überzeugt, dass noch viel mehr Details ans Tageslicht kommen werden. Die Beziehungen der Paramilitärs mit der Armee und kolumbianischen Unternehmern liegen beispielsweise noch völlig im Dunkeln. Außerdem wird auch die Familie von Präsident Álvaro Uribe verdächtigt, in den Paramilitarismus involviert zu sein.

Sind diese Verdächtigungen fundiert?

Gegen den Bruder des Präsidenten gibt es schon so viele Anzeigen und Untersuchungen, dass kaum noch jemand an seiner Unschuld zweifelt. Und von Álvaro Uribe selbst ist bekannt, dass er zumindest Freunde hat, die ihrerseits mit Paramilitärs befreundet sind.

Könnte die Nähe von Uribes Familie zu den Paramilitärs den Präsidentenstuhl ins Wanken bringen ?

Ich glaube nicht. Die politische, wirtschaftliche und mediale Macht Kolumbiens liegt zum größten Teil in den Händen von Anhängern Uribes. Zudem verfügt die aktuelle Regierung über die Rückendeckung der USA. Ihre Machtbasis ist also ziemlich solide.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Unterwanderung der Politik durch Paramilitärs und dem Gesetz zu deren Demobilisierung, das 2005 verabschiedet wurde und jenen Mitgliedern paramilitärischer Einheiten eine mildere Strafe garantiert, die ihre Waffen abgeben und ihre Verbrechen gestehen?

Ziel dieses Gesetzes ist, die wichtigsten paramilitärischen Gruppierungen ins zivile Leben zu integrieren, ohne dass sie einen allzu hohen Preis – beispielsweise die Auslieferung an die USA oder den Internationalen Strafgerichtshof – bezahlen müssen. Außerdem sollte es dazu dienen, die Verwicklungen zwischen der traditionellen politischen Klasse und den Paramilitärs zu vertuschen. Letzterem machten die Diskussionen um dieses Gesetz sowie der Widerstand dagegen glücklicherweise einen Strich durch die Rechnung.

Massaker, illegale Aneignungen von Land und ein großer Machteinfluss im wirtschaftlichen und öffentlichen Sektor – die Liste von Problemen, die Kolumbien mit den Paramilitärs hat, ist lang. Werden sie durch das Gesetz zur Demobilisierung gelöst?

Nein. Das Gesetz führt zu einem mafiösen Frieden, in dem die „Warlords“ den größten Teil ihrer Macht behalten und weiterhin ihren Drogengeschäften nachgehen können. Es herrscht das Gesetz des Schweigens und die Bevölkerung wird mundtot gemacht.

Aber in den vergangenen Jahren haben die von den Paramilitärs verübten Massaker klar abgenommen.

Das trifft zwar zu. Viele Oppositionspolitiker, Menschenrechtsvertreter oder Intellektuelle, die die Realität Kolumbiens kritisch hinterfragen, sind aber weiterhin ernst zu nehmenden Todesdrohungen ausgesetzt.

Wie könnte dem Paramilitarismus ein wirkliches Ende bereitet werden?

Die Macht, die sie sich die Anführer der paramilitärischen Einheiten dank des Krieges angeeignet haben, muss definitiv zerschlagen werden. Das geht nur, wenn ihre Verstrickungen mit dem Drogenhandel aufgedeckt werden und ihr Einfluss auf die Politik und die Wirtschaft gebrochen wird. Zudem ist es notwendig, dass die Opfer der Paramilitärs die ganze Wahrheit erfahren und für den Schmerz und die Verluste, die sie erlitten haben, entschädigt werden. Leider ist dies im aktuellen Friedensprozess nicht der Fall.

Was die Paramilitärs betrifft, hat die Regierung eine flexible Haltung eingenommen. Gegen die Guerilla-Bewegungen, vor allem gegen die „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ (FARC), geht sie hingegen mit eiserner Hand vor. Ist dies die richtige Lösung?

Nein. Die rein militärische Vorgehensweise ist keine gangbare Strategie. Den Krieg mit mehr Krieg beenden zu wollen ist wie Öl ins Feuer zu gießen.

Die Regierung sollte also den Verhandlungsweg einschlagen?

Ja. Aber diese Strategie hat auch ihre Tücken. Zum einen kann die Gesellschaft nicht ewig warten, bis sich die FARC und die Regierung an den Verhandlungstisch setzen, und zum andern existiert das Risiko, dass ein Verhandlungsfriede ohne tief greifende politische und wirtschaftliche Reformen nicht von Dauer ist.

Welche Maßnahmen müssten die Verhandlungen flankieren?

Kolumbien muss demokratischer werden. Ohne Vertiefung und Konsolidierung der Demokratie sind in diesem Land sämtliche Friedensbemühungen zum Scheitern verurteilt.

Wie kann die Demokratisierung vorangetrieben werden?

Die Zivilgesellschaft muss in dieser Angelegenheit sowie bei der Suche nach einer friedlichen Lösung des Konflikts eine Schlüsselfunktion übernehmen. Wir dürfen nicht mehr länger zulassen, dass die Friedensbemühungen in den Händen jener liegen, die für den Krieg verantwortlich sind. In dem Mass, in dem die Zivilgesellschaft sich organisiert und soziale, politische und ökonomische Veränderungen auf lokaler und regionaler Ebene, also sozusagen von unten nach oben, durchsetzt, rückt das ganze Land dem Frieden einen Schritt näher.

Worauf ist der Beginn des Krieges zurückzuführen?

Grundsätzlich brach er anfangs der 60er-Jahre wegen der politischen Ausgrenzung eines Großteils der Gesellschaft, der riesigen wirtschaftlichen Ungleichheiten, der massiven Landkonzentration sowie der faktischen Inexistenz des Staates in weiten Teilen des Landes aus. All diese Probleme sind bis heute ungelöst.

Welche Faktoren verlängern den Krieg?

Auf der einen Seite ist es die Tatsache, dass sich Kolumbien vor allem über den Drogenhandel und die Ausbeutung von Rohstoffen wie Erdöl in den Weltmarkt eingliedert. Das hat insofern einen Einfluss auf den Konflikt, als sowohl die FARC wie auch die Paramilitärs den Kokainhandel als einträgliche Finanzquelle benutzen. Zudem erpresst die Guerilla von Unternehmen, welche die Rohstoffe abbauen, Schutzgelder, und die Paramilitärs werden von Firmen nicht selten zum Schutz von Installationen sowie zur Unterdrückung sozialer Proteste angeheuert.

Und auf der anderen Seite?

Im Moment wird die Politik Kolumbiens gegenüber der Guerilla im Rahmen des sogenannten „Plan Kolumbien“ weitgehend vom Pentagon aus konzipiert, geplant, finanziert und operativ geleitet. Die USA benutzen den Konflikt vor allem dazu, ihre Vormachtstellung in der Andenregion zu sichern und ihre dortigen wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen. Ein baldiges Ende des Bürgerkrieges ist deshalb nicht unbedingt in ihrem Interesse. Der Kampf gegen den sogenannten „Narkoterrorismus“ dient den USA lediglich als Vorwand dafür, ihre militärische Präsenz in Kolumbien zu rechtfertigen.

Wie wird die Demokratisierung des Landes dazu beitragen, all diese Probleme zu überwinden?

Die herrschende Elite Kolumbiens hat sich gegenüber den USA schon immer unterwürfig verhalten, und ihre Politik besteht vor allem darin, die eigenen Interessen zu bedienen. Wenn die Politik des Landes unabhängiger, weniger ausgrenzend sowie gerechter werden und die Eingliederung in den Weltmarkt weniger ausbeuterisch sein soll, ist es daher unumgänglich, dass die Macht dieser Elite eingedämmt wird und neue Möglichkeiten der politischen Mitsprache entstehen.

Nach 40 Jahren Bürgerkrieg haben sich viele Kolumbianer an die tägliche Gewalt gewöhnt. Erschwert dieser Umstand die Mobilisierung der Zivilgesellschaft und den Demokratisierungsprozess?

Sie haben recht: Kolumbien wirkt oft wie narkotisiert. Die Gewalt ist etwas vom Normalsten der Welt, das Leben wird wenig respektiert und ethisches Verhalten zählt im Alltag nicht besonders viel. Aber auch wenn sich die Bevölkerung an die Gewalt gewöhnt hat, damit abgefunden hat sie sich nicht. Der Wunsch, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern, ist bei den meisten Leuten stark ausgeprägt und hat sich auch schon auf verschiedene Art und Weise manifestiert. Erstens drücken immer mehr Personen ihre Unzufriedenheit an der Urne aus. In den vergangenen Präsidentschaftswahlen erzielte der Kandidat der Linken eine beachtliche Anzahl Stimmen. Zudem haben linke und unabhängige Politiker in wichtigen Städten wie Bogotá, Medellín, Cali oder Pasto die Bürgermeisterwahlen gewonnen.

Und zweitens?

In Kolumbien gibt es bereits viele Beispiele, in denen sich Bürger der Gewalt widersetzt und sich erfolgreich für ein friedliches Zusammenleben eingesetzt haben. In diesem Land leben nicht nur Kriminelle und Drogenhändler.


Kasten:

Ein Leben im Zeichen des sozialen Kampfes
José Aristizábal, der seit den 60er-Jahren ein engagierter Kämpfer für mehr politische und soziale Gerechtigkeit in Kolumbien ist, war Leiter der landesweiten Bauernorganisation „Asociación Nacional de Usuarios Campesinos“ und Mitbegründer der Guerillaorganisation „Movimiento de Integración Revolucionaria“ (MIR – Patria Libre). In den 80er-Jahren schloss sich diese Bewegung mit dem „Ejército de Liberación Nacional“ (ELN), der zweitgrößten Guerillaorganisation nach den „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ (FARC), zur „Unión Camilista – Ejército de Liberación Nacional“ (UC-ELN) zusammen. In dieser neuen Gruppierung war Aristizábal Mitglied des Führungskommandos. Anfang der 90er-Jahre entschloss er sich, seine Ziele auf friedliche Art und Weise zu verfolgen, und gründete zusammen mit anderen Gesinnungsgenossen die „Corriente de Renovación Socialista“ (CRS), eine Gruppierung, die Friedensverhandlungen mit der Regierung anstrebte. Wieder ins zivile Leben integriert, wurde er in den kolumbianischen Kongress gewählt, in dem er als Präsident des Menschenrechtskommission tätig war.
Wegen Todesdrohungen ging Aristizábal 2003 nach Barcelona ins Exil, wo er unter anderem als Buchautor arbeitet. Sein neuestes Werk* ist eine Analyse der Veränderungen, die der Bürgerkrieg in seinem Land durch die Globalisierung erfahren hat.

* Metamorfosis: guerra, Estado y globalización en Colombia, José Aristizábal García, Ediciones “desde abajo”, Bogotá, Colombia, 2007, ISBN: 978-958-8093-75-8

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